2. Neuropsychiatrische Erkrankungen, die mit Bewegungsstörungen einhergehen

Zu den häufigsten neuropsychiatrischen Störungen gehören neben dem Gilles de la Tourette Syndrom Zwangsstörungen, das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom und Autismus-Störungen. Seit vielen Jahren betreuen wir Kinder und Erwachsene mit Tourette Syndrom und assoziierten Störungen, Autismus-Spektrumsstörungen, sog. Parkinson-Plus-Syndromen,  Morbus Huntington und anderen neuropsychiatrischen Störungen.

Viele dieser Patienten haben auch prominente Bewegungsstörungen. Da bei diesen Patienten sowohl neurologische als auch psychiatrische Probleme bestehen, ist zur Verbesserung  der Lebensqualität und Vermeidung von Folgeerkrankungen eine interdisziplinäre Betreuung wichtig. Diese wird in verschiedenen altersübergreifenden Sprechstunden realisiert, die auch den Rahmen und die Grundlage von klinischen Studien darstellen.

2.1 Gilles de la Tourette Syndrom

Das Tourette Syndrom ist durch eine Kombination aus motorischen und vokalen Tics gekennzeichnet, die vor dem 18. Lebensjahr beginnen und über einen Zeitraum von einem Jahr anhalten. Tics sind plötzlich auftretende, rasche, sich wiederholende Bewegungen (motorische Tics) oder Laute (vokale Tics), die im Bewegungsablauf normalen Willkürbewegungen entsprechen, allerdings übermäßig häufig, zusammenhangslos oder übertrieben auftreten.
Motorische Tics treten vor allem im Gesicht (z.B. Blinzeln, Grimassieren), an der Schulter und an den Armen auf, können jedoch auch den Rumpf und die Beine betreffen. Typischerweise geht den Tics ein Dranggefühl voraus, das nach dem Auftreten eines Tics in der Regel wieder abklingt. Die Erkrankung beginnt typischerweise im Kindesalter. Charakteristisch sind eine fluktuierende Ausprägung der Tics sowie ein wechselndes Repertoire. Weitere assoziierte Störungen sind Zwangsstörungen, ein Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS), häufige Folgestörungen Depressionen und Selbstwertproblematik.

2.2 Parkinson-Syndrome

Parkinson-Syndrome sind gekennzeichnet durch die Trias aus Muskelsteifigkeit (Rigor), Zittern (Tremor) und einer Verlangsamung von Bewegungen (Akinese). Das häufigste Parkinson-Syndrom ist die klassische Parkinsonerkrankung, der unterschiedliche auslösende Faktoren zugrunde liegen. Davon abzugrenzen sind Patienten mit seltenen genetisch bedingten Parkinson-Syndromen, bei denen die Erkrankung durch eine Veränderung in den Erbanlagen hervorgerufen wird. Diese sind zum Teil durch einen früheren Krankheitsbeginn im jungen Erwachsenenalter und zusätzliche neuropsychiatrische Symptome gekennzeichnet.

Darüber hinaus betreuen wir Patienten mit atypischen Parkinson-Syndromen, die ebenfalls durch zusätzliche neurologische Symptome gekennzeichnet sind, wie beispielsweise frühe Stürze im Krankheitsverlauf, kognitive Defizite, eine Kleinhirnfunktionsstörung, Störungen des autonomen Nervensystems (Blasenstörungen, Kreislaufregulationsstörungen etc.) oder ein Fremdheitsgefühl einer Körperseite. Diese atypischen Parkinsonsyndrome weisen oft einen rascheren Krankheitsverlauf auf und sprechen meist nur unzureichend auf eine medikamentöse Therapie mit Levodopa an.

2.3 Krankheiten mit dem Leitsymptom Chorea

Die häufigste Erkrankung, die im Erwachsenenalter zu einer Chorea führt ist der Morbus Huntington, eine erblich bedingte neurodegenerative Erkrankung, die mit motorischen, psychiatrischen und kognitiven Symptomen einhergeht. Die Vererbung der Erkrankung erfolgt autosomal dominant mit vollständiger Penetranz, d.h. dass Patienten, die diese Genveränderung tragen in jeden Fall im Laufe ihres Lebens erkranken werden. Insofern kommt der humangenetischen Beratung und Diagnostik eine bedeutende Rolle bei der Erkrankung zu. Zumeist liegt bei erkrankten Patienten als motorisches Symptom eine Chorea vor, die durch rasche, plötzlich und unvorhersagbar auftretende unwillkürliche Bewegungen gekennzeichnet ist.

Es gibt eine Reihe anderer seltenen Erkrankungen, die eine Chorea hervorrufen können, wie die Neuroakanthozytose, bestimmte spinozerebelläre Ataxien (SCA 17), Huntington-Disease-like (HDL)-Syndrome oder die dentatorubrale-pallidoluysiane Atrophie.

Die wichtigsten Erkrankungen im Kindesalter, bei denen die Chorea Hauptsymptom ist, sind bestimmte Formen der infantilen Zerebralparese, Stoffwechsel- und Entwicklungsstörungen und  die Sydenham Chorea (auch Chorea minor genannt). Diese ist eine seltene Komplikation des rheumatischen Fiebers. Sie kann wenige Monate nach einem Rachen-Infekt mit Streptokokken auftreten. Zugrunde liegt eine überschießende Antwort des Immunsystems, die sich gegen bestimmte Regionen im Gehirn, die Basalganglien, richtet. Die Behandlung der Chorea minor erfolgt mit  Antibiotika.

Weitere Informationen zu Morbus Huntington:

www.euro-hd.net

2.4 Dystonien

Dystonien sind durch anhaltende oder intermittierende Muskelkontraktionen gekennzeichnet, die zu abnormen Bewegungen oder Haltungen in der betroffenen Körperregion führen. Während ein Großteil der Dystonien im Erwachsenenalter sporadisch auftritt, liegt bei einer Reihe von Patienten insbesondere mit Erkrankungsbeginn im Kindesalter eine genetische Ursache der Erkrankung zugrunde. Die Dystonie kann bei einzelnen genetischen Formen von zusätzlichen Symptomen begleitet sein, wie einem Parkinson-Syndrom oder sehr kurzen, blitzartig einschießenden unwillkürlichen Bewegungen (Myokonien). In einigen Fällen, insbesondere bei einem frühen Erkrankungsbeginn, sollten zugrundeliegende andere Ursache wie Stoffwechselstörungen, neurodegenerative Erkrankungen oder strukturelle Schädigungen des Nervensystems ausgeschlossen werden. Einzelne genetisch definierte Dystonien sprechen sehr gut auf eine medikamentöse Therapie an. Andere Formen weisen ein gutes Ansprechen auf das operative Therapieverfahren der Tiefen Hirnstimulation auf, das in schweren Fällen eingesetzt werden kann.

2.5 Ataxien

Dies ist eine heterogene Erkrankungsgruppe, die durch eine Koordinationsstörung sowie eine Gangunsicherheit charakterisiert ist. Den Ataxien liegen verschiedene erblich bedingte Erkrankungen zugrunde. Eine ataktische Symptomatik kann jedoch auch durch andere zugrundeliegende Erkrankungen, wie neurodegenerative Erkrankungen oder Stoffwechselstörungen hervorgerufen werden. Manche Ataxien sind von zusätzlichen neurologischen Symptomen wie einem Parkinson-Syndrom oder einer erhöhten Muskelspannung (Spastik) begleitet, die wegweisend für die Diagnosestellung seien können. Darüber hinaus sind bei einem Teil der Ataxien andere Organsysteme mit betroffen (Herz, Auge, Haut etc.), so dass häufig eine umfangreiche diagnostische Abklärung erforderlich ist.