In Südtirols Alpentälern dem Krankheitsgen auf der Spur

Prof. Christine Klein (links) bespricht im Labor ihrer Arbeitsgruppe mit Dipl.-Ing. Anne Grünewald die Ergebnisse einer genetischen Analyse (im Hintergrund: v.l. Alexsandar Rakovic, Philip Seibler und Anne Weißbach).

Wenn in Südtiroler Bergdörfern Blut abgenommen wird, profitieren die Forscher an Lübecks Universität. Sie versuchen, ganz bestimmte Krankheiten auf spezielle Gene zurückzuführen.

Wenn Prof. Christine Klein an Südtirols Bergtäler denkt, gerät sie richtig ins Schwärmen. Das ist aber weniger der atemberaubenden Landschaft geschuldet als vielmehr den Optimalbedingungen für ihre Forschungen. „Da ist ein ungeheurer Schatz zu heben. Damit könnten wir wohl Jahrzehnte beschäftigt sein“, sagt die 37-jährige Jung-Professorin verzückt. Ein Schatz, der nicht materielle Dinge umfasst, sondern Gene. Gene, die möglicherweise mal bestimmten Erkrankungen zugeordnet werden können und die so berechtigte Hoffnung auf ein verbessertes Verständnis der Krankheitsursachen und auf neue Behandlungsmöglichkeiten wecken. Wie zum Beispiel bei der Parkinsonschen Krankheit, für die sich die Fachärztin für Neurologie und Neurogenetikerin besonders interessiert. „Morbus Parkinson ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen im höheren Alter. Er schränkt die Patienten im fortgeschrittenen Stadium in ihrer Lebensqualität extrem ein“, erklärt die Medizinerin. Zwar gebe es mittlerweile sehr wirksame Medikamente für die Behandlung, aber über die Ursachen wisse man immer noch viel zu wenig.Da kommt ihr die Sammelleidenschaft ihres Kollegen, des Neurologen Dr. Peter Pramstaller, gerade recht. Der 44-Jährige ist zwar ebenfalls Lehrbeauftragter an der Lübecker Uni, abermeist unweit des herrlichen Bergpanoramas zu Hause, da er das Institut für Genetische Medizin an der Europäischen Akademie Bozen leitet. Vor fünf Jahren rief er dort das ambitionierte Projekt GenNova ins Leben, das sich nichts weniger vorgenommen hat, als in abgeschiedenen Tälern der Alpen und Dolomiten die Herkunft von Krankheiten ausfindig zu machen.

Inzwischen haben wir schon in drei Dörfern über 1200 Einwohner eingehend medizinisch untersucht und ihnen jeweils Blut abgenommen“, erläutert der italienische Wissenschaftler, „über das Blut konnten wir anschließend das Erbgut entschlüsseln, das uns somit in Verbindung mit dem Gesundheitszustand des einzelnen Dorfbewohners als Datensatz vorliegt.“ Stilfs, Langtaufers und Martell heißen die Örtchen, die auf einer Höhe von 1500 Meter oder mehr schon halb in den Wolken liegen. DieWissenschaftler haben für sie den Begriff „Mikro-Isolate“ gewählt.

Das heißt: „In Stilfs beispielsweise leben 1200 Menschen, die lediglich auf zehn bis fünfzehn Gründerfamilien zurückgehen. Hier herrscht also seit 1000 Jahren Einsamkeit in den Genen, weil niemand zugezogen ist“, so Pramstaller. Weil das Erbgut unter den Dörflern also sehr ähnlich ist, bieten sich ideale Voraussetzungen, um nach genetischen Ursachen von Leiden wie Parkinson oder Herz-Kreislauferkrankungen zu suchen. Hinzu komme, dass die Umweltfaktoren, die ja auch Einfluss auf die Gesundheit eines Menschen haben, dort oben nahezu konstant geblieben seien, fügt er hinzu. Christine Klein von der Klinik für Neurologie, die 2005 als jüngste Professorin in die Annalen der Lübecker Uni eingegangen ist, kennt ihren Südtiroler Kollegen bereits aus gemeinsamen Forschungstagen in London. Das war 1994. Seitdem haben sich die beiden Mediziner nicht aus den Augen verloren und ihre Forschungsaktivitäten verzahnt. Dabei herrscht meist Arbeitsteilung: Pramstaller obliegen häufig die klinischen Untersuchungen und Klein eher die genetischen Analysen. Und damit nun diese Teamarbeit einen offiziellen universitären Rahmen bekommt,wird heute in einer Feierstunde ein Kooperationsvertrag zwischen Lübeck und Bozen unterzeichnet. Dann können neben den Neurologen unter anderem auch Kardiologen und Urologen auf dem Campus auf die wertvolle Datensammlung aus Oberitalien zurückgreifen.

Angesprochen auf erste Ergebnisse ihrer akribischen Arbeit, zeigen sich die beiden Wissenschaftler noch etwas bedeckt. „Wir sind schon auf viele interessante Details gestoßen“, erklärt die Neurogenetikerin, „so zeigt sich zum Beispiel bei einer Familie mit einem häufigen Auftreten von Parkinson nur bei einem Drittel der Patienten mit einer Genveränderung auch eine Symptomatik. Das ,Warum’ versuchen wir jetzt herauszubekommen.“ Und Peter Pramstaller verweist auf zwei brisante Chromosomenregionen für ein mögliches Restless-legs-Gen, das also vor allem nachts für unruhige Beine sorgt, und einen interessanten Genort, der möglicherweise für die Bildung von Gallensteinen verantwortlich sein könnte. Doch erinnern wir uns an das Anfangszitat, so ist Geduld wie häufig in der Forschung eine wichtige Tugend.

Aus/from: Lübecker Nachrichten, 2007-05-23, Michael Hollinde, Photos by Lutz Roessler, EURAC (2), Kurbetrieb Scharbeutz